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Interview – Charles Kálmán

 

Charles Kalman Fabian
Thomas Karban unterhielt sich 1984 mit dem Komponisten Charles Kálmán.

„Sigi, der Straßenfeger“ war Ihr fünfter Film mit dem Regisseur Wolf Gremm. Nach Krimi, Melodram und Psychothriller und nach „Fabian“ (1980) eine Komödie. Wie sind Sie nach einer nostalgischen, mit einer modern-frechen Komödie umgegangen?

Wolf Gremm brachte mich auf den Gedanken, eine rhythmische Musik zu schreiben, aber auch ein Thema für das Mädchen Willy, was ihm allerdings eher als ein Kinderlied vorschwebte – von uns beiden textiert ist es das quasi-Leitthema des Films, weil es am häufigsten ertönt. Für die Liebesszene dagegen wollte er eine romantische Musik haben. Eine eigene Idee brachte ich für die Fiffi-Box ein (dem Hundeklo-Modell, das im Film eine gewichtige Rolle spielt). Hier wollte ich eine Science-Fiction-Musik schreiben, wie man sie von Steven-Spielberg-Filmen her gewohnt ist. Die Idee gefiel Gremm zwar, doch ist die Musiksequenz zu meiner Enttäuschung im Film nicht verwendet worden.

Haben Sie die Musik von Kollegen gehört, als sie an „Sigi“ arbeiteten?

Natürlich –  ich höre immer Musik von Kollegen. Ich glaube, das tut jeder Komponist –  auch einer, der es nicht zugibt. Besonders hat mir die Musik zu „Garcon“ von Philippe Sarde gefallen, die ich während meiner Arbeit an „Sigi“ kennenlernte. Ich finde nichts interessanter als Musik zu hören, die andere schreiben –  allerdings sind für mich Anhören und Abschreiben zwei verschiedene Dinge.

Wie kam es überhaupt zur Zusammenarbeit mit Wolf Gremm?

Das war, weil man manchmal im Leben auch Glück hat: Als Wolf an „Fabian“  arbeitete, lernte ich ihn über einen gemeinsamen Bekannten kennen. Er hörte sich ein paar Nummern von mir an und engagierte mich für die Songs – die restliche Musik sollte zu diesem Zeitpunkt noch von den Oliver Onions geschrieben werden, die vorher mit ihm gearbeitet hatten. Erst später, nachdem meine ursprüngliche Arbeit getan war, bat er mich auch die Background-Musik zu schreiben und wollte, dass ich mich in Dixielandmusik vertiefe. Im Übrigen hatte ich gegenüber einem anderen Komponisten, der zur Debatte gestanden hatte, den Vorteil, die Musik der Twenties gut zu kennen.

Sie haben als musikalisches Leitthema ein Pfeifthema genommen wird sind. Wessen Idee war das nun?

Das war Wolfs Idee. Er sagte mir, dass der Fabian ein etwas lustiger Typ sei, den so manches im Filmleben danebengeht, worauf er pfeift. Während der Arbeit an diesem Film war ich, weil als Barpianist auch Darsteller im Film, in der glücklichen Lage, Wolfs Arbeitsweise kennenzulernen.

Wie lässt es sich überhaupt mit einer Musik erfahrenen Regisseur, wie Wolf Gremm einer ist, arbeiten? Kann es nicht manchmal zu Hahnenkämpfen kommen?

Es lässt sich gut mit ihm arbeiten und ich finde es sehr viel interessanter mit jemandem zu arbeiten, der Musik kennt. Als Komponist ist man ja auch Dramaturg. Das hat schon mein Vater gewusst: „Grüß mir die süßen, reizenden Frauen in Wien“ wäre ohne Zusammenspiel der Librettisten, die ihm eine Zusammenstellung zweier Themen vorschlugen, gar nicht zustande gekommen. Das es auch Missverständnisse gibt, ist schließlich bei jeder Partnerschaft vorkommend. Aber wie sagte Orson Welles im „Dritten Mann“ so treffend:  „300 Jahre Krieg Elend, Not in Europa brachten der Welt da Vinci, Michelangelo und Raffael. 300 Jahre Frieden in der Schweiz brachten der Welt die Kuckucksuhren.“ So ist es auch zwischen Wolf und mir. Wenn immer Frieden ist und man sich verträgt, kann nicht viel dabei herauskommen. Es muss Kämpfe am Arbeitstisch und in Besprechungen geben, um damit etwas Idealeres hervorzubringen.

Im Vorspann von „Sigi“ wird als Co-Composer Klöber genannt. Wer machte was?

Klöber verfasste mit seiner Gruppe „Sexer-Pack“ die Disco-Titel – beispielsweise für die Ladenausräumung – er gab mir aber auch Ideen für einige meiner Musikstücke, die dann auch von seiner Gruppe gespielt wurden.

Zum Film „Nach Mitternacht“ (1981): Ein Film über Gewissenskonflikte im Jahre 1936. Haben Sie bei dieser Filmarbeit, vielleicht durch Ihre eigenen Erinnerungen beeinflusst, Emotionen entwickelt?

Kolossale Emotionen! Mein Vater, Emmerich Kálmán, war Jude. Zwei Jahre später, 1938, hat sich dasselbe in Österreich abgespielt, das alles hat sich bei der Filmarbeit nach oben gekehrt. Denn was da in „Nach Mitternacht“ geschieht, ist noch wesentlich schlimmer in Wien geschehen: Freunde die verschwanden oder ins Konzentrationslager mussten, die flüchteten und auch verzweifelt waren, weil sie weder ein noch aus wussten. Ein Schicksal wie das des Doktor Breslauer, wie es sich im Film abspielt, hat sich in unserem Freundeskreis zigmal abgespielt.

Gerade in diesem Film gibt es eine Szene, wo Ihre Musik das Grauen dieser Zeit verdeutlicht, wenn ein kleines Mädchen, Bertha, vor Erschöpfung tot zusammenbricht, da es ständig gezwungen wurde, ein Lobgedicht auf Hitler aufzusagen. In dem Moment, wo Leska den abgefallen Schuh des Mädchens in die Hand nimmt, setzt eine das Hauptthema paraphrasierende Musik ein – es könnten Glöckchen gewesen sein.

Ja, es war ein mit Glockenspiel entfremdeter Celesta. Bei dieser Sequenz haben wir am Mischpult den Pegel besonders hoch angesetzt, um es ungemein schrill klingen zu lassen. Wieso erwähnen Sie gerade diese Szene?

Weil die Musik hier auf eine ungewöhnliche Weise spielt, dabei wohl auch die klingende Härte das Geschehen ergänzt. Welche Überlegungen haben Sie sich hier gemacht?

Ich hatte bemerkt, dass in diesem Restaurant, wo sich die Tragödie abspielt, vorher ein Playerpiano zu hören ist. So sagte ich mir, dass es schon ein Tasteninstrument sein müsste. Auf jeden Fall wusste ich, dass man hier kein Orchestercrescendo erklingen lassen konnte –  das hätte die ganze Atmosphäre zerstört. Das Letztere ist ein Makel, was besonders den älteren Hollywoodfilmen anhaftet.

Auch in „Fabian“ gibt es ein so stilles Klaviersolo, wenn Fabian seinen toten Freund im Krankenhaus begleitet.

Das ist aber nicht von mir. Wolf greift gern auf bereits vorhandene Musiken zurück, die in diese Periode fallen. Dabei helfe ich ihm auch manchmal. Die Idee der Verwendung der Rossini-Ouvertüre zur „Diebischen Elster“ im Anfang von „Kamikaze 1989“ (wo die Musik von Tangerine Dream geschrieben wurde) ist auch von mir; in dem Beispiel von „Fabian“ wollte er so einen richtigen Jazz-Touch in die Szene bringen und hat ein Stück von Fats Waller genommen.

Gibt es Kollegen, die Sie besonders mögen oder schätzen?

Von den Pionieren Max Steiner, Franz Waxman, Miklos Rozsa, Erich Wolfgang Korngold und Bernard Herrmann. Von den Neuen finde ich eigentlich Goldsmith am besten, weil er sehr intelligent arbeitet und eine eigene Handschrift hat.

Charles Kalman, Filmkomponist
Charles Kalman – 17. November 1929 – 22. Februar 2015

Interview – Hans-Martin Majewski

Interview mit Hans-Martin Majewski aus den 1980-Jahren

Herr Majewski, Sie benutzten einmal den Ausdruck von der „Eigengesetzlichkeit der Filmmusik“. Was verstehen Sie darunter?

Diese Frage kann im Rahmen eines kurzen Interviews nicht schlüssig beantwortet werden. Das Thema „Eigengesetzlichkeit“ wurde in Vorträgen und Seminaren behandelt und nahm einen breiten Raum ein. Die Entstehungsgeschichte des bewegten Bildes vom Stummfilm zum Tonfilm machte in ihrer langwierigen Entwicklung die Filmmusik zu einem eigenen Berufszweig und führte durch ihre dramaturgische funktionelle Bedeutung zur Eigenwertigkeit. Vielfalt der Stilmittel, und weil zwischen bewegtem Bild und Musik Entsprechung und Wechselwirkung besteht, wovon die Athener so gut wie die Chinesen wussten, führte zu Überlegungen und Lösungen, die den Musiker zwangen, sich von der Filmmusik – Zeit, Länge, Synchronpunkte – zu lösen, und den inneren Vorgang der Bild- und Handlungsgeschehenskraft kreativer Impulse auszuleuchten, letztlich die Wirkung, Bedeutung und den Erfolg eines Films mitzubestimmen. Dieses Bemühen führte nolens volens zur Eigengesetzlichkeit der Filmmusik, die ja wohl in den Anfängen der Filmindustrie zur Zweitrangigkeit von Musikkritikern und Publikum degradiert wurde.

Viele Ihrer deutschen Kollegen schreiben gerne sinfonische Filmmusik – wenn man ihnen denn die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellt. Ihnen sagt man eine Abkehr von sinfonischen Stilmitteln nach.

Meine Abkehr von sinfonischer Filmmusik bezieht sich auf die Anwendung von Stilmitteln des 19. Jahrhunderts soweit es sich um die Vertonung dramatischen Filmgeschehens handelt. Ein Rückgreifen auf sinfonische Elemente der Romantik des vorigen Jahrhunderts hat sich über Jahrzehnte hinaus als dankbar erwiesen. Oft haben sich Drehbuchautoren und Regisseure der Originalpartituren dieser Epoche bedient. Neu komponierte Musik sollte sich, wenn sie sich im sinfonischen Bereich „tummelt“, einer heutigen Sprache bedienen. Die Wahl der Stilmittel richtet sich nach dem Stoff und dem Inszenierungsstil.

Sie haben mehrmals im Rahmen von Festspielen und Tagungen zum Thema Filmmusik gesprochen. Welche Aspekte hoben Sie in diesen Referaten hervor?

Geschichte der Filmmusik, ihre Entwicklung zur Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit, Stummfilm-Tonfilm, Arbeitsverfahren und Arbeitsweise der Filmkomponisten, deren Situation und Abhängigkeit vom Auftraggeber, Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft bei unkonventionellen Praktiken, Einengung der Kreativität.

Und in welchem Maß war das Publikum am Thema Filmmusik überhaupt interessiert?

Das Interesse war besonders bei Jugendlichen groß. In dem überfüllten Auditorium Maximum in Hamburg musste ich einmal nach knapp drei Stunden meinen Vortrag über weitere 45 Minuten ausdehnen, weil im Rahmen von demonstrierten Filmbeispielen eine Flut von Fragen an mich den Zeitplan sprengte. Bei Kongressen und auf Festivals war das Interesse nicht so groß, weil ein Überangebot von Veranstaltungen vorlag.

Viele Ihrer deutschen Kollegen, wie z. B. Eugen Thomass, halten nichts von leitmotivischer Filmmusik.

Leitmotivische Filmmusik im Sinne von Richard Wagner hat sich bereits in der Stummfilmzeit und erst recht im Tonfilm als wenig praktikabel erwiesen. Stellen Sie sich einen Western vor, wo jeder Akteur – und Gegenspieler nebst wichtigen Nebenrollen – ein eigenes Motiv bekäme. Was würde das z. B. bei einem  „Gemetzel“ für ein lächerliches Durcheinander geben.

Es ist also nicht sinnvoll, wenn ein Komponist, wie es Max Steiner bei „Vom Winde verweht“ tat, für jeden Darsteller ein Thema schreibt?

In großen dramatischen Filmen kann sich zu dem Hauptthema durchaus ein Nebenthema gesellen. Heute und seit Jahren beschränkt man sich auf ein Thema, welches substantiell stark genug ist, einem Film das „Markenzeichen“ und Profil zu geben und dazu beiträgt, dem Film zu einem Erfolg zu führen, letztlich durch innere Geschlossenheit.

Sie schrieben 1940 die Filmmusik zu „Flucht im Dunkel“, damals mischten sich die Nazis in das Filmschaffen ein. War auch Ihre Arbeit davon betroffen?

Ja! Dieses habe ich erst nach dem Kriege durch den Regisseur A. M. Rabenalt erfahren. Es gehörte zu den Erstaunlichkeiten der damaligen Kulturpolitik, dass die Musik schlechthin beruhigend oder begeisternd sein sollte. Meine Musik bediente sich dem Inhalt und Stoff musikalischer Stilmittel, die nicht erwünscht waren. Der Regisseur schaffte es dennoch, dass die Musik im Film drin blieb – nach langwierigen Verhandlungen im Propagandaministerium.

Klaus Doldinger wollte mit seiner Musik zu „Das Boot“ die Schrecken und die Faszination des Krieges gegeneinanderstellen. Sie haben auch einen Antikriegsfilm, „Die Brücke“, vertont. Im Gegensatz zu Doldinger haben Sie das Grauen des Krieges durch eigenes Erleben erfahren. Haben Sie im „Brücken“-Score trotzdem versucht, die anfängliche Begeisterung der Jugend für den Krieg einzubringen?

Nein! Die Musik hatte die Aufgabe, in komprimierter Form durch ein Motiv das Grauen des Krieges auszudrücken. Das Handlungsgeschehen wurde in realistische, überhöhte – elektronische – Geräusche eingebettet und untermauerte Grauen und Fanatismus der in vorderster Front kämpfenden halbwüchsigen Jugend. Eine musikalische Akustik im weiteren Sinne empfand ich als nicht probates Mittel, zumal da ich ein Gegner der Illustrationsmusik bin.

Womit beschäftigen Sie sich, von der Filmmusik abgesehen, noch?

Mit sinfonischer Programmmusik. Und ich arbeite an meinem Buch „Einhundert Gramm Musik“ – eine biographisch-polemisch-satirische Darlegung der Situation des Komponistenberufs.

Sein Buchvorhaben vermochte Hans-Martin Majewski nicht zu vollenden – er starb am 1. Januar 1997.