Archiv der Kategorie: Komponisten

Peter Schickele

Peter Schickele, Lautlos im Weltraum
Peter Schickele – 17. Juli 1935 – 16. Januar 2024

Über den amerikanischen Komponisten Peter Schickele gibt es aus filmmusikalischer Sicht nicht allzu viel zu berichten. Verdient gemacht hat er sich selbstverständlich mit seinem schönen und passenden Score zu „Silent Running“ („Lautlos im Weltraum“, 1972), dessen Urheberschaft mitunter irrtümlich Joan Baez zugeschrieben wird, obgleich mit der Sängerin lediglich zwei Songs eingespielt wurden.

Erwähnenswert ist vielleicht noch eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit des nun mit 88 Jahren verstorbenen Peter Schickele mit seinem Kollegen John Williams, der mit nunmehr 91 Jahren ebenfalls ein respektables Alter erreicht hat.

Gerald Fried … und ein fast vergessener Film

Gerald Fried, Filmkomponist, Filmmusik
Gerald Fried – 13. Februar 1928 – 17. Februar 2023

„Überleben“ („Supervivientes de los Andes“) ist ein mexikanischer Film aus dem Jahr 1976 unter der Regie von René Cardona, beruhend auf einer wahren Begebenheit, die 1972 großes Aufsehen erregte und noch Jahre danach für öffentliche Diskussionen sorgte.

Eine Maschine vom Typ Fairchild-Hiller FH-227 war am 13. Oktober 1972 mit 45 Menschen an Bord in den Anden abgestürzt und konnte trotz intensiver Suche von den Rettungskräften nicht ausfindig gemacht werden. Aufgrund der ausbleibenden Hilfe und der extremen Notlage begannen einige der Überlebenden damit, die Leichen der Passagiere zu essen, die beim Absturz ums Leben gekommen waren.

Drei Männer machten sich schließlich auf den Weg, um aus eigenen Kräften die Zivilisation zu erreichen. Tatsächlich trafen sie nach Tagen des Herumirrens auf einige Schafshirten, mit deren Hilfe sie Rettungskräfte herbeirufen konnten.

Erst am 23. Dezember 1972 waren alle Überlebenden, insgesamt 16 Personen, in Sicherheit.

Eine bittere Ironie des Schicksals war es, dass sich ca. 30 km von der Absturzstelle entfernt ein leeres Hotel befand, in welchem sich Lebensmittelvorräte, Erste-Hilfe-Kästen und Kleidung befanden. Hätten die Überlebenden das Hotel entdeckt, wäre es vermutlich niemals zum Kannibalismus gekommen.

„Überleben“ – Mexiko, 1976

„Überleben“/„Supervivientes de los Andes“ war der erste Spielfilm, der sich auf das tragische Ereignis bezog, das Drehbuch basierte auf dem gleichnamigen Buch von Clay Blair jr.

Der Film wurde in Europa weitgehendst positiv aufgenommen, hinterließ dennoch keinen nachhaltigen Eindruck; inzwischen ist er nahezu vergessen, beinahe so, als hätte es ihn nie gegeben.

In den USA lief der Film unter dem Titel „Survive!“, war kommerziell gesehen durchaus erfolgreich, wurde jedoch vom Publikum und der Presse eher negativ bewertet. Die New York Times sprach von „einem ärgerlich synchronisierten Film mit rudimentärer Darstellung zu einer manchmal blechernen Musikbegleitung“.

Hierzu muss man wissen, dass „Survive!“ in den USA von Robert Stigwood herausgebracht wurde. Der erfolgreiche Musik- und Filmproduzent ließ den mexikanischen Originalfilm einer umfangreichen Nachbearbeitung unterziehen: u. a. wurde der spanischsprachige Film nun von amerikanischen Schauspielern ins Englische synchronisiert, ganze Filmpassagen wurden umgestellt, und für die Filmmusik verpflichtete Stigwood einen routinierten Hollywood-Komponisten – Gerald Fried.

Das amerikanische Publikum war synchronisierte Filme nicht gewohnt, weshalb es überwiegend verhalten auf „Survive!“ reagierte. Zudem bekamen die Zuschauer hier in einem Top-Film kein einziges Gesicht zu sehen, das man aus einem Hollywood-Streifen oder dem US-Fernsehen gekannt hätte. Der Film wirkte schlicht „unamerikanisch“.

René Cardona legte mit „Überleben“ jedoch im Großen und Ganzen eine solide Arbeit vor. Das Thema Kannibalismus wurde, trotz mehrerer drastischen Szenen, keineswegs voyeuristisch ausgeschlachtet … auch wurden die Überlebenden nicht heroisiert. Der Aufwand der Inszenierung allerdings sowie die verwendete Tricktechnik entsprachen selbst nach damaligen Maßstäben eher einer Fernsehproduktion. Die zwei Jahrzehnte später entstandene amerikanischen Verfilmung „Alive“ (1993) konnte in diesem Punkt schon eher überzeugen.

Gerald Frieds Filmmusik zum „Überleben!“-Film aus dem Jahr 1976 hat nichts „Blechernes“ an sich, wie die New York Times unterstellte. Der von der Zeitung verwendete Begriff „blechern“ bezieht sich vermutlich auf das mit mehrfach besetzten Blasinstrumenten sowie Rhythmusgruppe ausgestattete Orchester, das Fried zur Verfügung stand. Der Sound ähnelte folglich dem einer Big Band .

Gerald Fried bekam den Auftrag, „Überleben“ zu vertonen, noch bevor die amerikanische Postproduktion abgeschlossen war. Es ist davon auszugehen, dass ihm allenfalls Versatzstücke des Streifens gezeigt wurden, bevor er schließlich die Noten niederschrieb.

Er verfasste diverse Musikpassagen, die später am Regietisch von den Verantwortlichen – mit wenig Gespür für dramaturgische Richtigkeit – ins Filmgeschehen eingefügt wurden. Dies erklärt auch, warum die Musik so häufig deplatziert wirkt.

Der Schwerpunkt lag auf optimistischen, euphorischen Passagen, die der gezeigten Szenerie nicht gerecht wurden bzw. erst zum Ende des Films hin angebracht gewesen wären.

„Überleben“ ist kein großer Film, wie sein Nachfolger aus dem Jahre 1993 übrigens auch nicht. Dass der Film inzwischen nahezu vergessen ist, ist insofern kein Drama.

Was die Filmmusik angeht, so bewies Gerald Fried hier, was er in seiner gesamten Karriere als Filmkomponist bewies: er war ein Routinier, aber eben ein sehr kreativer Routinier!

Der am 13. Februar 1928 in New York City geborene Musiker starb am 17. Februar 2023 in Bridgeport, Connecticut.

Gerald Fried

Zum Tode von Burt Bacharach

Burt Bacharach – 12. Mai 1928 – 8. Februar 2023

Burt Bacharach hat über die Jahre Musiken zu rund einem Dutzend Filmen beigesteuert, dennoch wäre es übertrieben, ihn als Filmkomponisten zu bezeichnen. Seine Musik fürs Showbiz vermochte zu gefallen, und das war auch bei Scores wie „What’s New Pussycat?“ (1965) oder „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ (1969) nicht anders.

Der typische Bacharach-Sound strahlte eine einnehmende Unbeschwertheit aus, besaß einen hohen Wiedererkennungswert. Und zwar so ausgeprägt, dass ein Kritiker unterstellte, der Künstler würde stets den gleichen Song komponieren, stets das gleiche Orchesterstück arrangieren.    

Das klingt übertrieben, aber selbst wenn es nur zu einem Teil zutreffen sollte, schien es das Publikum nicht zu stören – es konnte vom unverwechselbaren Sound des Komponisten nicht genug bekommen. Der phänomenale Erfolg gab Burt Bacharach recht. Und das lag daran, dass seine Musik sehr charmant war.

Vangelis 1943 – 2022

Musik wie aus fremden Sphären: Vangelis – 29. März 1943 – 17.05.2022

Zum Leben und Tode von Evángelos Odysséas Papathanassíou, bekannt als Vangelis, wurde in den letzten Tagen viel veröffentlicht. Hier soll es darum gehen, welche Bedeutung der griechische Komponist für das Genre Filmmusik hatte.

Vangelis wurde nachgesagt, dass er dem Komponieren von Soundtracks kein besonderes Gewicht beimaß, dass er im Gegenteil Filmmusik für minderwertig hielt, dass sie seiner Meinung nach nicht einmal eine Musikrichtung sei.

Es wäre selbstverständlich sein gutes Recht gewesen, derartiges zu glauben … allein hätte er mit einer solchen Meinung gewiss nicht dagestanden – weitere Komponisten vertraten und vertreten diese Ansicht, und sogar Musikexperten stimmen solchen Äußerungen mitunter bedenkenlos zu. Wie es letztendlich bei dem einen oder anderen zu einer solchen Fehleinschätzung kommt, ist allerdings eine Frage, die in diesem kurzen Nachruf nicht beantwortet werden soll.

Vangelis war kein Filmkomponist, der mit der Stoppuhr arbeitete, um ganz bestimmte Töne zur richtigen Zeit erklingen zu lassen. Es war nicht sein Anliegen, zu jeder einzelnen Szene die dramaturgisch richtige Musik erklingen zu lassen – und um ehrlich zu sein, beherrschte er dieses explizit handwerkliche Können auch gar nicht … er wollte es nicht lernen, oder es war ihm schlichtweg egal.

Das machte ihn jedoch nicht zu einem schlechten Filmkomponisten. Vangelis war im Gegenteil eine Bereicherung für viele der Filme, zu denen er die Musik beisteuerte, denn nicht jedes Kino- oder Fernseherlebnis wird besser, weil die Musik von einem filmmusikalischen Handwerker stammt, der seine Kompositionen professionell und punktgenau einzusetzen weiß. Es gibt Filme, die keine maßgeschneiderte Musik benötigen, sondern einen Soundtrack, der die visuell dargestellte Stimmung in ihrer Gesamtheit widerspiegelt … Töne, die mit den Bildern auf der Leinwand verschmelzen.

Vangelis vermochte es, überwältigende Klangteppiche zu schaffen, die mit so manchen Film zu einer solchen Einheit wurden. Sein Meisterwerk hierbei war das 1982 in die Kinos gekommen Science-Fiction-Epos „Blade Runner“, die von ihm erschaffenen Synthesizer-Klänge verliehen dem Film eine erstaunliche Tiefe, machten ihn faszinierend und glaubwürdig.

Vangelis und seine bekannteste Filmmusik, die zu „Blade Runner“

Das weltberühmte Thema aus „Chariots of Fire“ gilt den meisten Musikfreunden zwar als ein Jahrzehnte überdauernder Ohrwurm, durchaus von hoher Qualität, aber als Beispiel eines besonders eindrucksvollen Scores blieb die Musik nicht in Erinnerung, was im Wesentlichen daran liegt, dass die „Stunde des Siegers“ nie ernsthafte Bekanntheit erlangte.

Auch „1492: Conquest of Paradise“ wurde ein bekannter und zudem kommerziell außerordentlich erfolgreicher Score. Künstlerisch erreichte Vangelis damit allerdings den Tiefpunkt seiner filmmusikalischen Karriere: Die komplette Partition tritt mit ihrer eindimensionalen Klangkulisse auf der Stelle, und der Komponist kam in keinem Moment über sein altbekanntes Idiom hinaus. Ausgerechnet das berühmte Titelthema ist nahezu peinlich simpel gestrickt, es könnte genauso gut während der Störtebeker-Festspiele heruntergeleiert werden oder zu einer x-beliebigen Rasierwasserwerbung gehören. Der Verkaufserfolg des Soundtrack-Albums sowie die endlos begeisterten Kommentare unter entsprechenden YouTube-Videos dürfen hier wahrlich nicht als Qualitätssiegel gewertet werden.

Aber auch ein solcher Ausrutscher schmälert Vangelis‘ musikalische Bedeutung nicht wirklich, denn selbst die allergrößten Meister haben Inspiriertes und weniger Inspiriertes geschrieben. Und so spricht es letztlich für den am 17. Mai 2022  verstorbenen Komponisten, dass er in jeder Hinsicht ein gehöriges Maß an Vielfältigkeit zeigte.

Klaus Doldinger

Klaus Doldinger, Das Boot, Filmmusik, Filmkomponist
Klaus Doldinger

Klaus Doldinger wurde am 12 Mai 1936 in Berlin geboren, er wuchs in Wien auf und ging später in Düsseldorf zur Schule, wo er sich schon früh für Musik, speziell Jazz, interessierte. 1947 nahm er Klavierunterricht und 1952 schloss er sich einer Band an, in der er Klarinette und Klavier spielte – mit dieser Band, den Feetwarmers, gab er Konzerte, und er gewann auch erste Preise.

1960 bekam er einen Kompositionsauftrag für einen Zeichentrickfilm, wozu ihn seine Frau, die er ebenfalls 1960 geheiratet hatte, eigenen Angaben zufolge „regelrecht überreden“ musste.

1962 gründete er das Klaus Doldinger-Quartett, und 1963 erschien seine erste Langspielplatte: „Doldinger – Jazz made in Germany.“ Die Platte wurde in 20 Ländern veröffentlicht, auch in den USA – für deutsche Verhältnisse damals eine Sensation.

1964 startete er eine große Auslandstournee: Skandinavien, Italien, Afrika, die damalige Tschechoslowakei, auch ging es in den Nahen Osten.

Als er die Leitung des Gershwin-Musicals „Girl Crazy“ übernahm, erntet er Lob durch die Medien. Die Presse schrieb: „Dass die Musik an diesem Abend nie weich, nie gefühlig, nie aufgeschwemmt wirkt, ist dem famosen Akkompagnement  durch das Klaus-Doldinger-Quartett zu verdanken. Dadurch erhält die Aufführung ihren Swing.“ In der gleichen Zeit trat er auch im legendären Hamburger Star Club auf.

1971 wurde die Gruppe Passport gegründet.

Klaus Doldinger ist Jazzer, Filmmusiker, Musikproduzent, Arrangeur, er hat Hunderte Musiken für Kino und Fernsehen geschrieben. Und das, obwohl ihm manch ein Jazzmusiker Verrat an der guten Sache vorwarf und von kommerziellen Abwegen lamentierte. Doldingers berühmteste Filmmusik ist zweifellos „Das Boot“, aber auch die Titelmusik zur Krimi-Dauerserie „Tatort“ ist jedem Fernsehzuschauer im deutschsprachigen Raum geläufig.

Interview – Hans-Martin Majewski

Interview mit Hans-Martin Majewski aus den 1980-Jahren

Herr Majewski, Sie benutzten einmal den Ausdruck von der „Eigengesetzlichkeit der Filmmusik“. Was verstehen Sie darunter?

Diese Frage kann im Rahmen eines kurzen Interviews nicht schlüssig beantwortet werden. Das Thema „Eigengesetzlichkeit“ wurde in Vorträgen und Seminaren behandelt und nahm einen breiten Raum ein. Die Entstehungsgeschichte des bewegten Bildes vom Stummfilm zum Tonfilm machte in ihrer langwierigen Entwicklung die Filmmusik zu einem eigenen Berufszweig und führte durch ihre dramaturgische funktionelle Bedeutung zur Eigenwertigkeit. Vielfalt der Stilmittel, und weil zwischen bewegtem Bild und Musik Entsprechung und Wechselwirkung besteht, wovon die Athener so gut wie die Chinesen wussten, führte zu Überlegungen und Lösungen, die den Musiker zwangen, sich von der Filmmusik – Zeit, Länge, Synchronpunkte – zu lösen, und den inneren Vorgang der Bild- und Handlungsgeschehenskraft kreativer Impulse auszuleuchten, letztlich die Wirkung, Bedeutung und den Erfolg eines Films mitzubestimmen. Dieses Bemühen führte nolens volens zur Eigengesetzlichkeit der Filmmusik, die ja wohl in den Anfängen der Filmindustrie zur Zweitrangigkeit von Musikkritikern und Publikum degradiert wurde.

Viele Ihrer deutschen Kollegen schreiben gerne sinfonische Filmmusik – wenn man ihnen denn die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellt. Ihnen sagt man eine Abkehr von sinfonischen Stilmitteln nach.

Meine Abkehr von sinfonischer Filmmusik bezieht sich auf die Anwendung von Stilmitteln des 19. Jahrhunderts soweit es sich um die Vertonung dramatischen Filmgeschehens handelt. Ein Rückgreifen auf sinfonische Elemente der Romantik des vorigen Jahrhunderts hat sich über Jahrzehnte hinaus als dankbar erwiesen. Oft haben sich Drehbuchautoren und Regisseure der Originalpartituren dieser Epoche bedient. Neu komponierte Musik sollte sich, wenn sie sich im sinfonischen Bereich „tummelt“, einer heutigen Sprache bedienen. Die Wahl der Stilmittel richtet sich nach dem Stoff und dem Inszenierungsstil.

Sie haben mehrmals im Rahmen von Festspielen und Tagungen zum Thema Filmmusik gesprochen. Welche Aspekte hoben Sie in diesen Referaten hervor?

Geschichte der Filmmusik, ihre Entwicklung zur Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit, Stummfilm-Tonfilm, Arbeitsverfahren und Arbeitsweise der Filmkomponisten, deren Situation und Abhängigkeit vom Auftraggeber, Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft bei unkonventionellen Praktiken, Einengung der Kreativität.

Und in welchem Maß war das Publikum am Thema Filmmusik überhaupt interessiert?

Das Interesse war besonders bei Jugendlichen groß. In dem überfüllten Auditorium Maximum in Hamburg musste ich einmal nach knapp drei Stunden meinen Vortrag über weitere 45 Minuten ausdehnen, weil im Rahmen von demonstrierten Filmbeispielen eine Flut von Fragen an mich den Zeitplan sprengte. Bei Kongressen und auf Festivals war das Interesse nicht so groß, weil ein Überangebot von Veranstaltungen vorlag.

Viele Ihrer deutschen Kollegen, wie z. B. Eugen Thomass, halten nichts von leitmotivischer Filmmusik.

Leitmotivische Filmmusik im Sinne von Richard Wagner hat sich bereits in der Stummfilmzeit und erst recht im Tonfilm als wenig praktikabel erwiesen. Stellen Sie sich einen Western vor, wo jeder Akteur – und Gegenspieler nebst wichtigen Nebenrollen – ein eigenes Motiv bekäme. Was würde das z. B. bei einem  „Gemetzel“ für ein lächerliches Durcheinander geben.

Es ist also nicht sinnvoll, wenn ein Komponist, wie es Max Steiner bei „Vom Winde verweht“ tat, für jeden Darsteller ein Thema schreibt?

In großen dramatischen Filmen kann sich zu dem Hauptthema durchaus ein Nebenthema gesellen. Heute und seit Jahren beschränkt man sich auf ein Thema, welches substantiell stark genug ist, einem Film das „Markenzeichen“ und Profil zu geben und dazu beiträgt, dem Film zu einem Erfolg zu führen, letztlich durch innere Geschlossenheit.

Sie schrieben 1940 die Filmmusik zu „Flucht im Dunkel“, damals mischten sich die Nazis in das Filmschaffen ein. War auch Ihre Arbeit davon betroffen?

Ja! Dieses habe ich erst nach dem Kriege durch den Regisseur A. M. Rabenalt erfahren. Es gehörte zu den Erstaunlichkeiten der damaligen Kulturpolitik, dass die Musik schlechthin beruhigend oder begeisternd sein sollte. Meine Musik bediente sich dem Inhalt und Stoff musikalischer Stilmittel, die nicht erwünscht waren. Der Regisseur schaffte es dennoch, dass die Musik im Film drin blieb – nach langwierigen Verhandlungen im Propagandaministerium.

Klaus Doldinger wollte mit seiner Musik zu „Das Boot“ die Schrecken und die Faszination des Krieges gegeneinanderstellen. Sie haben auch einen Antikriegsfilm, „Die Brücke“, vertont. Im Gegensatz zu Doldinger haben Sie das Grauen des Krieges durch eigenes Erleben erfahren. Haben Sie im „Brücken“-Score trotzdem versucht, die anfängliche Begeisterung der Jugend für den Krieg einzubringen?

Nein! Die Musik hatte die Aufgabe, in komprimierter Form durch ein Motiv das Grauen des Krieges auszudrücken. Das Handlungsgeschehen wurde in realistische, überhöhte – elektronische – Geräusche eingebettet und untermauerte Grauen und Fanatismus der in vorderster Front kämpfenden halbwüchsigen Jugend. Eine musikalische Akustik im weiteren Sinne empfand ich als nicht probates Mittel, zumal da ich ein Gegner der Illustrationsmusik bin.

Womit beschäftigen Sie sich, von der Filmmusik abgesehen, noch?

Mit sinfonischer Programmmusik. Und ich arbeite an meinem Buch „Einhundert Gramm Musik“ – eine biographisch-polemisch-satirische Darlegung der Situation des Komponistenberufs.

Sein Buchvorhaben vermochte Hans-Martin Majewski nicht zu vollenden – er starb am 1. Januar 1997.

Portrait – Hans-Martin Majewski

Hans-Martin Majewski Portrait
Hans-Martin Majewski

Geboren wurde Hans-Martin Majewski am 14. Januar 1911 in Schlawe, Pommern. Der Sohn eines Veterinärrats besuchte an seinem Geburtsort das Gymnasium und anschließend bis 1930 eine staatliche Bildungsanstalt in der Stadt Köslin. Danach studierte er in Königsberg Medizin, ließ sich dort aber bereits von den Straube-Schülern Joachim Ansorge und Traugott Fedke in der Musik und im Tonsatz unterweisen.

Ab 1932 schließlich widmete sich Majewski dann ausschließlich in Leipzig der Musik. Er studierte unter anderem bei Hermann Grabner, Kurt Thomas, Robert Teichmüller, Max Hochkoffler, Bruno Walter, Max Ludwig die Fächer Theorie und Kompositionslehre, Dirigenten- und Opernschule.

1935 ging er nach Berlin und begann dort seine erste Tätigkeit als Korrepetitor- und Kapellmeister am „Theater des Volkes“. 1938 verfasste er zwei Operetten, die auf Bühnen in Berlin, Oldenburg und Zwickau aufgeführt wurden. 1940 beendete er seine Filmmusik zu „Flucht im Dunkel“, die von den Nazizensoren fast wieder aus dem Streifen herausgenommen worden wäre. Der Krieg hatte begonnen und Majewski wurde zur Wehrmacht einberufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er kurz in russische Kriegsgefangenschaft, und als er nach Deutschland zurückkehrte, wurde er von britischen Militärs verhaftet, da man ihn mit Helmut Majewski von der ehemaligen „Reichsjugendführung“ verwechselte. Es vergingen fünf lange Monate, bis die Engländer ihren Irrtum bemerkten. Majewski wurde freigelassen. Er zog nach Hamburg, das seine neue Heimatstadt wurde und komponierte literarische Kabarett-Chansons, die auch über den Rundfunk der Hansestadt gesendet wurden. Für den Rundfunk schließlich verfasste er zahlreiche Musiken für Hörspiele, dem folgten weitere Kompositionen für Bühnenstücke.

1947 kam wieder eine Arbeit für den Film: „Ruhrgebiet – Kraftquelle Europas“, ein Dokumentarfilm, der auch auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde. Anschließend vertonte er „Liebe 47“ von Wolfgang Liebeneiner.

Insgesamt schrieb Majewski über 200 Filmmusiken. „Ich werde so lange Filmmusik schreiben, bis ich alle musikalischen Möglichkeiten und Grenzen abgetastet habe und ich spüre, dass auch auf dem experimentellen Wege – wenigstens von Fall zu Fall – kein unbeschrittenes Neuland mehr zu entdecken ist“, sagte er.

Hans-Martin Majewski starb am 1. Januar 1997 in Bötersen, Niedersachsen.

Portrait – Franz Waxman

Franz Waxman vor dem berühmten Hollywood-Schriftzug

Franz Wachsmann wurde am 24. Dezember 1906 in Königshütte, Oberschlesien, Deutschland, geboren und starb am 24. Februar 1967 in Los Angeles. USA.

  • Kochendes Wasser geriet auf seine Netzhaut, als er im Alter von drei Jahren versuchte, einen Ofen zu erklimmen – er warf dabei einen aufgesetzten Topf um. Sein ganzes Leben lang musste er wegen dieser Augenverbrühung starke Brillengläser tragen.
  • Als er 28 Jahre alt war, wurde er in Berlin auf offener Straße von Faschisten verprügelt.

Zwei traumatische Stationen im Leben eines bedeutenden Komponisten: Franz Wachsmann, der sich später in Amerika Franz Waxman nennen sollte.

Die Namensänderung und die darauf folgende Annahme der amerikanischen Staatsbürgerschaft (1939) fiel ihm nicht schwer: Während sein Bruder Max im Ersten Weltkrieg für Deutschland fiel, wurde ein anderer Bruder, Fritz, während des Zweiten Weltkrieges in einem Konzentrationslager ermordet.

Wachsmann wurde am Heiligen Abend des Jahres 1906 in Königshütte, Oberschlesien, geboren. Außer Fritz und Max hatte er vier weitere Geschwister. Drei Brüder und eine Schwester – Frieda, die noch lange Zeit in Los Angeles lebte. Mit 12 Jahren begann Franz sich für klassische und populäre Musik zu interessieren. Das Klavierspiel gehörte zu seinen Hobbys. Doch Vater Otto Wachsmann wollte von Musik nichts wissen.

Franz musste einen Job am Schalter einer Bank annehmen; nach einem halben Jahr hatte er genug davon. Er widersetzte sich seinem Vater und ging an die Musikakademie in Dresden. Anschließend wechselte er zum Berliner Konservatorium über, wo er Komposition und Dirigieren studierte. Das Geld dazu musste er sich als Klavierspieler in Bars und Cafés verdienen. Friedrich Hollaender war damals Hauskomponist der bekannten Jazzformation „Weintraub Syncopaters“. Hollaender wurde auf Wachsmann aufmerksam und sorgte dafür, dass dieser bei der UFA als Orchestrator und Dirigent eingestellt wurde.

Seine erste eigene Filmmusik schrieb Wachsmann 1933 für den Fritz-Lang-Film „Liliom“ – ein choraler Score. Im gleichen Jahr heiratete er Alice P. Schachmann, die er während eines Dänemark-Urlaubs kennengelernt hatte. Inzwischen griff in Deutschland der Faschismus um sich, für Wachsmann wurde es Zeit, das Land zu verlassen. Er siedelte nach Paris.

Obwohl damals noch nicht abzusehen war, dass Deutschland Frankreich besetzen würde, verließ Wachsmann bereits 1935 das Land. Durch den ehemaligen UFA-Mann Erich Pommer gelang es ihm schnell, in den USA Fuß zu fassen. Zunächst bearbeitete er dort das Kern/Hammerstein-Werk „Music In The Air“ für den Film.

Wachsmann fühlte sich alsbald wie ein Amerikaner. Er strebte die Staatsbürgerschaft an, bekam sie 1939, und nannte sich fortan Waxman. Von James Whale bekam Waxman angeboten, die Musik zu „The Bride Of Frankenstein“ zu schreiben – er nahm den Auftrag an. Die Universal war begeistert: sie engagierte Waxman umgehend als Musikdirektor, seine Aufgabe war es, die Filmproduktion musikalisch zu überwachen. Selbst schrieb Waxman dabei ein Dutzend Scores, und sein Erfolg zahlte sich auch finanziell aus.  1939 konnte er seine Schwester und seine Eltern nach Los Angeles holen, und ein Jahr später wurde sein einziges Kind, sein Sohn John, geboren.

Doch der Job als Musikdirektor lag Franz Waxman nicht, er wollte lieber selber schreiben und nicht die Arbeit anderer kontrollieren. So wechselte er zu MGM – gleich mit einem 7-Jahresvertrag – und schrieb jährlich ungefähr 8 Filmmusiken. Auch wurde er für andere Filmstudios freigestellt, so 1941 für Alfred Hitchcocks „Suspicion“. Nach seiner MGM-Zeit wechselte er zu Warner Bros., bei denen u. a. die renommierten Komponisten Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold unter Vertrag waren. Bereits zahlreiche Filmmusiken hinter sich gründete Waxman 1947 das „Los Angeles Music Festival“, das er aus eigener Tasche finanziell unterstützte. Bei diesem Festival zeigte Waxman seine Liebe zur Klassik.

Für Billy Wilders „Sunset Boulevard“ (1950) erhielt er seinen ersten Oscar. Im Jahre 1951 erhielt er einen weiteren Academy Award für George Stevens „A Place In The Sun“. In dieser Zeit fuhr Waxman jährlich nach Europa, um dort als Gastdirigent aufzutreten. In Amsterdam führte er eine Suite aus „A Place In The Sun“ auf.  Als 1954 Alfred Newmans „The Robe“ nicht für die Sparte „Bester Score“ nominiert wurde, trat Waxman empört aus der Academy aus. Er verehrte diesen Score und vertonte 1955 die Filmfortsetzung von „The Robe“: „Demetrius And The Gladiators“. Seine Musik zu „The Silver Chalice“ wurde 1954 für den Oscar nominiert, gewählt wurde aber schließlich Dimitri Tiomkins „The High And The Mighty“.

1957 verstarb Waxmans Frau Alice. Ein Jahr später heiratete er die Pianistin Leela Saenger-Sethe – eine Ehe, die 1965 mit Scheidung endete. Für „The Nun’s Story“ wurde Waxman zum elften Mal für den Oscar nominiert. Diesmal überließ er den Preis an Miklos Rozsa, der ihn für „Ben Hur“ verliehen bekam.

„The Lost Command“ (1966) war die letzte Kinomusik von Waxman, für das Fernsehen folgte noch „The Last Hundred Miles“.

Waxman machte sich viele theoretische Vorstellungen über Filmmusik – er sah sie eindeutig als selbständige Kunstform. Die Verbindung und die Wechselwirkung von Film und Musik beschäftigten ihn sehr: „Die Inspiration der Musik ergibt sich aus der dynamischen Kraft der Geschichte. Werner Jansen tat dies bei „The General At Dawn“ – er vermied chinesische Musik und Instrumentation, um die Stimmung des Dramas nicht zu beeinträchtigen.“ – „Ein doppelter Höhepunkt ist kein guter Höhepunkt. Manchmal erreichen Musik und Film gemeinsam einen Höhepunkt. Aber wenn der Schauspieler mit seinem Dialog einen großen Moment erreicht, würde die Musik alles überschwemmen.“

Am 24. Februar 1967 erlag Franz Waxman einem Krebsleiden.

Interview – Rolf Wilhelm

Rolf Wilhelm, Filmkomponist, Porträt, Richard Kummerfeldt
Rolf Wilhelm

Ihre Musik zu „Die Nibelungen“ ist sichtlich im Stil von Miklos Rozsa komponiert. Wie schwer ist es für einen Komponisten, zwischen Stil und Plagiat zu unterscheiden?

Der erste Satz dieser Frage, obwohl möglicherweise ein verstecktes Kompliment (Rozsa ist einer der besten Filmkomponisten), bedarf doch einer generellen Richtigstellung: Der Stil einer Filmmusik hängt zunächst einmal vom Stoff ab, das heißt Genre, Zeit und Ort der Handlung. Es ist klar, dass eine heitere Komödie, in New York der Gegenwart spielend, einen anderen Stil verlangt, als ein in Verona an Originalschauplätzen gedrehter Romeo-und-Julia-Film, in dem sich Elemente der italienischen Renaissancemusik finden werden. Westernfilme, orientalische Märchenstoffe, Heimatfilme, historische Themen – jeder Stoff hat seinen kulturhistorisch vorgezeichneten Rahmen, innerhalb dessen sich die Musik logischerweise bewegen wird, von allen persönlichen Modifikationen einmal abgesehen. Eine gewisse historische Treue des Stils wird in jedem Falle auch die Atmosphäre des Films bereichern und unvermeidbar bleiben. Spielt der Film nun in einer Zeit, die musikalisch indifferent ist, also entweder in der Frühzeit oder in ferner Zukunft, wird die Sache kitzliger und der Komponist wird sich einen einleuchtenden Stil ausdenken müssen, um mit seiner Musik nicht „neben dem Film zu liegen“. Die „Nibelungen“ gehören zu dieser Sparte von Filmen; historisch sind sie etwa um 450 nach Christus anzusetzen, die Niederschrift der Sage entstand um 1250. Musik dieser Zeit ist kaum erhalten, es gab außer den ersten Kirchengesängen auch nur noch die Lieder der Spielleute. Also muss ein passender Stil, der zum Bildgeschehen passt, gefunden werden. Und hier unterliegt wohl jeder Komponist, der dramatische Musik für große Orchester schreiben will, gleichermaßen dem Einfluss der Entwicklung der Orchestersprache, die mit dem Beginn der Oper einsetzt und mit der Programmmusik (Liszt, Berlioz, Strauß) einen Höhepunkt erreicht. Die Summe dieser Entwicklung, vielleicht kann man von musikdramatischen Errungenschaften, archetypischen Klangbildern sprechen, wird seine Aussage in irgendeiner, oft unbewussten Weise beeinflussen und er wird zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, wie ein von gleichen Überlegungen ausgehender Kollege. Daher die von Ihnen festgestellte Stilähnlichkeit mit Rozsa. Die Meister der Vergangenheit haben die musikalische Sprache auch unserer Tage entscheidend geprägt.

In präzisierter Form, ebenso geistreich wie treffend, hat das mit entwaffnender Offenheit Dimitri Tiomkin bei der Verleihung des Oscars für seine Komposition zu „The High An The Mighty“ dargelegt als er sagte: „Ich möchte mich hiermit bei folgenden Herrn bedanken: Beethoven, Brahms, Wagner, Mahler, Strauß, Rimski-Korsakov…“. Ich schließe mich ihm voll an und möchte nur noch die Namen Ravel, Debussy, Strawinsky und Bartok hinzufügen, die bei Tiomkins Dankesrede vielleicht schon im Beifall und Gelächter untergegangen waren.

Das Plagiat ist eine bewusst vorgenommene Anleihe am geistigen Eigentum anderer und insofern blanker Diebstahl. Nun ist es kein Geheimnis, dass Filmkomponisten von unsicheren Regisseuren, Produzenten, Verleihern, oder Verlegern mitunter unverblümt zum Plagiat angestiftet werden, eine erfolgreiche Vorlage kräftig „nachzuempfinden“. Das weltberühmte „Harry-Lime-Thema“, der River-Kwai-Marsch (also vor allem erfolgreiche Titelvorspann-Themen) waren klassische Beispiele für solche Vorlagen, die in den Besprechungen immer wieder auftauchten und es den Komponisten oft schwer machten, dieses unlautere Ansinnen abzuweisen und mit einer eigenen Vorstellung wirkungsvoll dagegen anzugehen. Weil wir schon beim Thema sind – es gibt noch eine weitere Erscheinung: Das Zitat, also das Verwenden eines fremden Themas oder Motivs. Damit kann man herrliche literarische und parodistische Anspielungen erzielen, Parallelen augenzwinkernd kommentieren und dem Kenner ein Schmunzeln entlocken. Derlei musikalische Späße leiste ich mir, wo sie sinnvoll und ironisch wirken, sehr gerne.

Ihre Scores wurden in den 70er-Jahren auch zusätzlich für billige Sexfilmchen verwendet. Kann ein Komponist sich dagegen wehren?

Das klingt gewaltiger, als es wohl ist. Natürlich werden nicht ganze Scores vom Verlag als Archivmusik unter diese Filme gelegt, es sind wohl Popnummern, musikalische Brücken, wie sie in Unterhaltungsfilmen vorkommen, die sich zur beliebigen Weiterverwendung eignen. Die Musikmeldungen solcher Filme weisen einen ganzen Katalog von Urhebern auf, und mein Anteil daran beschränkt sich meist auf wenige Sekunden. Wehren kann man sich naturgemäß gegen alles auf der Welt, wenn man will. Ich hielte es für besser, wenn es keine Musikarchive gäbe und alle Musik neu geschrieben und aufgenommen werden müsste. Schließlich leben nicht nur Komponisten, sondern auch Musiker, Studios, Kopisten, Arrangeure und viele andere von Aufträgen, die bei Verwendung von Archivmusik wegfällt.

Haben Sie Vorbilder aus dem Soundtrack-Bereich?

An sich ist jede Filmmusik interessant für mich und gibt Impulse, positive wie negative, denn auch, wie man sie nicht machen darf, muss demonstriert werden. Und dann gibt es natürlich unvergessliche Eindrücke wie F. Doelles „Amphitrion“ und die Musik von Disneys Hauskomponisten Paul Smith, mit ihrer unglaublichen, fast schon überperfekten Synchronität, Mancini-Sounds und -Songs, Tiomkin, Rozsa, aber auch Grothes „Wirtshaus im Spessart“, immer wieder besonders gelungene Arbeiten in Film und TV; man sollte vielleicht gar keine Namen nennen und damit die Zahl der vorbildlich arbeitenden Kollegen nicht eingrenzen. Im Übrigen sei vermerkt, dass sich die Einstellung zu solchen Vorbildern nach zwanzig bis dreißig Jahren gerade bei den alten Filmen oft ändert; manches davon ist überholt, überladen, kitschig, enttäuschend und wirkt fatal. Die Entwicklung der Aufnahmetechnik und der instrumentalen Möglichkeiten haben das Klangbild unserer Tage enorm verändert und gegenüber dem alten üblichen Filmorchester wesentlich differenziert.

Was halten Sie von „gängigen Kompositionen“, die Verkaufserfolge erzielen sollen?

Natürlich ist ein solcher Erfolg eine Wunschvorstellung sowohl des Produzenten, als auch des Komponisten, aber eben nicht programmierbar. Die wesentliche Rolle dabei spielt neben dem Erfolg des Films die Platzierung der Musik im Film. Aufwändig grafisch durchgestaltete Vorspanntitel sind eine günstige Ausgangsposition. Einen unerwarteten Erfolg hatte in dem Fernsehfilm „Hiob“ ein Thema, das sich durch seine dramaturgische Bedeutung  dem Hörer einprägte und einen wahren Sturm auf die Musikläden verursachte. Leider gab es keine Veröffentlichung davon, der Erfolg war nicht vorgesehen und kaum ist die Sendung vorbei, ist sie ja auch schon wieder vergessen – wir leben in einer schnelllebigen Zeit.

Rolf Wilhelm Doktor Faustus Tonio Kröger Soundtrack Filmmusik LP
„Doktor Faustus“, „Tonio Kröger“

Eine weitere Form von kommerzieller Musik ist die zu Werbespots…

Werbespots zu schreiben ist ein Heidenspaß für jeden, der das Handwerk beherrscht, sonst kann es sauer werden, in 20 Sekunden eine Unzahl von Synchronpunkten unterzubringen. Ich finde es anregend, Musik zu erfinden, der man die Arbeit mit Stoppuhr, Metronom und Bildauszählungen nicht anmerkt. Ich habe etwa 300 Werbemusiken geschrieben und dabei viel gelernt.

Hatten Sie schon einmal eine Leerphase, in der Sie befürchteten, dass Ihnen die Ideen ausgehen?

Letzten Endes beginnt jede Arbeit mit einer solchen Leerphase, obwohl der Ausdruck irreführend depressiv klingt. Aber jede neue Arbeit ist ein neuer Beginn – noch ist alles offen und ich sitze vor dem berühmten leeren Notenblatt. Die Fälle, wo sich Inspiration auf Anhieb einstellt, mit Motiven und Themen, die einem spontan einfallen, kommen meist nur in kitschigen Musikerfilmen vor: Kaum sieht der Komponist die blonde Protagonisten, notiert er beflügelt eine ganze Sinfonie in einer Nacht, die am nächsten Tag – ohne Hinzuziehung eines Kopisten – von einem 60-Mann-Orchester aufgeführt wird und zur bedingungslosen Hingabe der Angebeteten führt. Also, so einfach ist das nicht!

Wie also der Bildhauer den Steinblock, der Maler seiner Leinwand, steht der Komponist dem Notenpapier gegenüber, auf dem sich bekanntlich vom genialsten Werk bis zum übelsten Schund alles notieren lässt. Zweifel, ob es gelingen wird, wird und muss es immer geben, denn ohne sie verfiele man in Routine und Massenherstellung. Je nach Laune, Gesundheitszustand, Zeitnot, in München auch Föhnlage, können diese Zweifel mitunter ein beträchtliches Ausmaß annehmen und sind nur durch konsequente, voll konzentrierter Arbeit zu beseitigen. Keine Leerphase zu empfinden, wäre aus oben genannten Gründen gefährlich und würde deprimierenden Ergebnissen Vorschub leisten. Also: ein Lob der Leerphase!

Komponieren Sie ausschließlich, oder sind Sie im Bereich der Filmmusik noch anderweitig aktiv?

Gelegentlich bittet mich einmal ein Kollege, für ihn seine Aufnahmen zu dirigieren, wenn er es vorzieht, in der Tonregie die Realisierung seiner Vorstellungen zu überwachen. Mir macht das großen Spaß und es ist angenehm, sich nur auf diese Aufgabe zu konzentrieren, denn die Doppelfunktion ist schon einigermaßen anstrengend.

Rolf Wilhelm Limelight Die Nibelungen LP Richard Kummerfeldt Filmmusik Soundtrack
„Die Nibelungen“

Als Richard Kummerfeldt 1981 mit der Produktion der Nibelungen-LP an sie herantrat, mochten sie nicht an einen Erfolg glauben?

Vor der Premiere des Films hatte der Verlag bereits eine fast gleichlautend zusammengestellte LP angeboten, war aber erfolglos geblieben. Eine Single mit den beiden Hauptthemen kam zwar heraus, ging aber vollkommen unter. So hatte ich Bedenken, ob sich die Musik behaupten würde, nachdem der Film in Vergessenheit geraten war. Das Herr Kummerfeldt mit seinem Optimismus Recht hatte, freut mich besonders für ihn und bedeutet für mich eine Genugtuung: Es ist schön, dass meine Anstrengungen bei einem fachinteressierten Publikum Anerkennung finden.

Letzten Endes gleicht kein Film dem anderen so sehr, dass man zum Fließbandarbeiter würde; die Chance, beweglich und handlungsfähig zu bleiben, ist immer gegeben.

Portrait – Rolf Wilhelm

 

Rolf Wilhelm, Filmkomponist, Dirigent, Filmmusik
Rolf Wilhelm – porträtiert von seinem größten Fan: Richard Kummerfeldt!

Rolf Alexander Wilhelm wurde am 23. Juni 1927 in München geboren, er erhielt ab seinem 6. Lebensjahr Klavierunterricht. Als er zwölf Jahre alt war, siedelte die Familie nach Wien über. Mit 14 Jahren besuchte Wilhelm die dortige Musikhochschule. Er belegte die Fächer Klavier und Komposition unter Josef Marx, einem seinerzeit in Österreich bekannten Komponisten. Das Studium in Wien währte zunächst nur zwei Jahre, denn es wurde durch die Einberufung des nun Sechzehnjährigen zum Kriegsdienst unterbrochen.

Mit Kriegsende kehrte die Familie nach München zurück. Bereits 1948 wurde der junge Wilhelm mit Kompositionen für den neu geschaffenen Sender „Radio München“ beauftragt. Parallel dazu beendete er in der Zeit zwischen 1946 und 1948 an der Hochschule für Musik in München das unterbrochene Studium. Seine Lehrer zu dieser Zeit waren Josef Haas in Komposition und Hans Rosbaud in der er Dirigentenklasse. Während dieser Zeit hat Wilhelm ständig an eigenen Kompositionen gearbeitet. So erklärt es sich auch, dass in der Zeit bis 1954 etwa 350 Hörspiele musikalisch von ihm betreut wurden. Mit der Einführung des Fernsehens begann auch seine Arbeit für dieses Medium.

1954 erhielt Wilhelm seinen ersten Filmmusik-Auftrag („08/ 15“). Es war der erste deutsche Film nach dem Kriege, der das Thema Militär behandelte, für die damalige Zeit ein gewagtes Unterfangen. Im gleichen Jahr entstand die Musik zu  „Phantom des großen Zeltes“.

In den folgenden Jahren teilte Rolf Wilhelm seine Aktivitäten zwischen Rundfunk, Fernsehen und Film auf.

Bis Ende der 60er-Jahre entstanden in Deutschland noch Filme, die es den Komponisten ermöglichten, Musiken für große Orchester zu schreiben. In diese Zeit fallen auch Wilhelms Kompositionen für episch angelegte Heimatfilme, wie zum Beispiel „… und ewig singen die Wälder“ (1959), „Das Erbe von Björndal“ (1960), „Via Mala“ (1961), und eine ganze Reihe von Werken verfilmter Literatur, zum Beispiel „Tonio Kröger“ (1964) und „Wälsungenblut“ (1964).

Rolf Wilhelm Tarabas Filmmusik Soundtrack LP
„Tarabas“

Der letzte große sinfonische Auftrag war der zwei Teile umfassende Streifen „Die Nibelungen“, 1966, dessen Musik 1981 erstmals auf Schallplatte erschien. Rolf Wilhelm kreierte eine groß angelegte, epische Musik, reich an Klangfarben und von mitreißender Ausdruckskraft. Er erzählt aus dieser Zeit gerne die Geschichte über die finanziellen Diskussionen, die es mit dem Berliner Produzenten Arthur „Atze“ Brauner gab:

Für den ersten Teil hatte Wilhelm eine Partitur geschrieben, die von einem 80-Mann-Orchester gespielt wurde. Die Aufnahmen kosteten die Produktion rund 15.000 DM – im Grunde genommen also eine recht günstige Filmmusik.

Für den zweiten Teil der „Nibelungen“ wollte Atze Brauner dann nur noch 5000 DM herausrücken. Rolf Wilhelm musste also, um die Musik für den Folgefilm realisieren zu können, den Bittgang um mehr Geld antreten. Nach einigen Verhandlungen gab der als geizig verschriene Produzent noch 2000 DM dazu. Insgesamt musste Wilhelm also mit 7000 DM auskommen.

Der zweite Teil des Films bestand aus zahlreichen Kriegsszenen und der Komponist setzte zum Teil recht exotische Blas- und Schlaginstrumente ein, die dem Score einen harten, kompromisslosen Charakter verliehen und der ausgezeichnet die Grausamkeit des Filmgeschehens kommentierte.

Befragt man Rolf Wilhelm nun hinsichtlich seiner Ambitionen zu so genannten „ernsten Musik“, so erhält man von ihm eine eigentlich überraschende Antwort. Er, Rolf Wilhelm, der sich in Partituren wie eben „Die Nibelungen“, „Via Mala“, „…und ewig singen die Wälder“, „Das Erbe von Björndal“, „Tonio Kröger“, usw. als ein Meister der der großen sinfonischen Musik erweist, gesteht dann, dass er selbst, so wörtlich, „den Konzertsaal“ als einen „heiligen Tempel“ ansieht. Seine Kompositionen für Film, Fernsehen und Rundfunk betrachtet er als „Kunsthandwerk“.

Ein Münchner durch und durch: Rolf Wilhelm - Spaziergang mit Dackel im Stadtteil Grünwald.

Ende der 50er bis Anfang der 60er-Jahre fand in Stuttgart alljährlich die „Woche der leichten Musik“ statt. Rolf Wilhelm gehörte zu dieser Zeit als Gastdirigent zu den ständigen Betreuern  dieser Veranstaltungen. Zur Aufführung kamen hier Lieder, Ouvertüren und Suiten. Diese Musiken basierten oftmals auf Fernseh- und Spielfilmmusiken. Für eine solche Woche brachte er als Gastdirigent (neben anderen Kompositionen aus eigener Feder) einen „Kriminalroman in 5 Kapiteln für großes Orchester und 5-schüssigen Revolver“ mit. Augenzwinkernd erklärt er, dass dies bis dahin sein einziges Orchesterwerk für den Konzertsaal gewesen sei.

Schaut man nun die Filmographie Rolf Wilhelms durch, so finden sich mit Ausgang der 60er-Jahre lediglich Aufträge wie „Allerneueste Lausbubengeschichten“ (1966), „Die Lümmel von der ersten Bank“ (1968), und, und, und… Die Liste dieser platten deutschen Filmchen wird eigentlich erst rund 10 Jahre später durchbrochen und in der Folge auch beendet (mit Ausnahmen).

Der „Junge Deutsche Film“ etablierte sich zunächst überwiegend im Ausland, was danach auf das Ursprungsland zurückstrahlte. Rolf Wilhelm erhielt zu dieser Zeit auch wieder akzeptable Angebote („Abelard“, 1975). Im folgenden Jahr drehte der weltbekannte Regisseur Ingmar Bergman in München den Film „Schlangenei“. Rolf Wilhelm, der auch schon die „Szenen einer Ehe“ musikalisch abstinent betreut hatte, stand hier vor dem Problem, die 20er-Jahre Deutschlands musikalisch auferstehen zu lassen.

Er trug zunächst einmal Originalmusiken dieser Zeit zusammen, also bereits Komponiertes. Daneben schrieb er eigene Kompositionen – und Ingmar Bergman bekam schließlich alles ohne Autorenangabe vorgelegt. Er entschied sich für die Kompositionen seines Komponisten, quasi anonym. Die Arbeit an dieser Musik machte Rolf Wilhelm viel Spaß, und in dem Drang, die Musik so originell klingen zu lassen wie irgend möglich (was auch Wunsch und Wille des Regisseurs war), wurden solche Musiker verpflichtet, die auf dem jeweils zu spielenden Instrument nicht so fit waren (ein guter Trompeter muss nicht notgedrungen auch gut Geige spielen), denn in einem drittklassigen Varieté spielten und spielen nicht gerade Virtuosen von Weltklasse.

Weiterhin wurde mit verhältnismäßig primitiven Geräten in den Originaldekorationen aufgenommen. Die Arbeitsweise und das Ergebnis begründeten eine auch weiterhin gute Zusammenarbeit zwischen Ingmar Bergmann und Rolf Wilhelm.

Rolf Wilhelm filmmusikalisches Schaffen fand in den 90er-Jahren u. a. in seinen Arbeiten für die Loriot-Kinofilme einen würdigen Abschluss. Er starb am 17. Januar 2013 in seiner Heimatstadt München.

Nach einem Originaltext von Richard Kummerfeldt

Can – Irmin Schmidt

Irmin Schmidt, Filmmusik
Irmin Schmidt

„Can  Soundtracks“ – enthält „Deadlock“, „Cream“, „Mädchen mit Gewalt“, „Deep End“, „Bottom“

„Irmin Schmidt-Filmmusik“ – enthält „Im Herzen des Hurricane“, „Messer im Kopf“, „Der Tote bin ich“

„Irmin Schmidt-Filmmusik Vol II“  – enthält „Flächenbrand“, „Endstation Freiheit“, „Heimsuchung des Assistenten Jung“

„Irmin Schmidt-Filmmusik Vol III und IV“ – enthält „Flight To Berlin“, „Der Mann auf der Mauer“, „Es ist nicht aller Tage Abend“, „Leben Grundlings…“, „Ruhe sanft, Bruno“

Was in anderen Ländern schon immer gang und gäbe war, dass nämlich bekannte Musiker aus der Pop- und Rockszene einem Film einen Soundtrack verpassen, das blieb in Deutschland lange Zeit die große Ausnahme. Udo Jürgens‘ peinlichen Ausflug in die Westernlandschaft von „Potato Fritz“ einmal außer acht lassend, gab es immerhin die Gruppe „Can“ und ihren Keyboardspieler Irmin Schmidt, die bis in die frühen 70er-Jahre Filme untermalte, während Schmidt weiterhin auf diesem Gebiet tätig blieb. Durch die modischen Rock-Klänge bekamen viele Filme überhaupt erst ein richtiges Feeling für Leute und Umgebung, für Situationen und Begebenheiten. Man denke an Roland Klicks Western „Deadlock“, der ohne die aggressive und nervöse Musikkulisse von Can sehr viel seiner extremen Wirkung eingebüßt hätte, oder an das von Irmin Schmidt betreute „Messer im Kopf“, dessen psychologische Spannung nicht zuletzt den zirpenden Tonwiederholungen zu verdanken war, aber auch an „Im Herzen des Hurricane“, wo die Musik, bewusst laut und aufdringlich, den Rhythmus der Verfolgungsjagden in der freien Wildbahn bestimmte.

Irmin Schmidts Soundtrack-Veröffentlichungen (inklusive der Can-Filmmusiken) haben äußerlich und in der Zusammenstellung wenig mit den üblichen Scores zu tun. Seine vier Sampler mit Suiten aus seinen Filmen reihen die Stücke inhaltlich nicht nach Filmtiteln aneinander, sondern setzen einfache lose Cues hintereinander. Diese Anordnung macht die Alben autonom hörbar und vermittelt dem Hörer Grundstimmungen, zu deren Erfahrung man den Titel des Films eigentlich nicht wissen muss. Auch ist jeder dieser Titel getrennt thematisch und formal durchdacht.

Um allerdings seine Veröffentlichungen musikalisch zu interpretieren, muss man berücksichtigen, dass zweifellos vieles im Studio von den Musikern noch auf die Skizze improvisiert wurde. Dass allerdings Schmidts Filmalben ein kompositorisches Konzept zugrunde liegt, ist nach den „Can-Soundtracks“, die gewiss Teamwork und daher bis zu einem hohen Grad auch musikalisch primitiv waren, nicht schwer zu erraten. Schmidt beherrscht, wenn es um die Rock- Jazz- und Popmusik geht, sein Handwerk, was sich an einigen Beispielen beweisen lässt, obwohl es gerade seinen Scores aus den 80er-Jahren (wie „Rote Erde“, „Flight To Berlin“) an einem geradlinigen Konzept mangelt, und er (wie seinerzeit auch Peer Raben)  hilflos in schwammigen Harmonien auf der Stelle tritt, was man auch auf den übermäßigen Gebrauch und Übereinanderspielung von verschiedenen Soli zurückführen muss.

Doch allen diesen negativen Aspekten zum Trotz kann man Schmidts „Vol I“ und „Vol II“ als repräsentativen Querschnitt seines Könnens betrachten, wobei er nicht selten imstande scheint, seine wenigen Mittel (Gitarren, Keyboards, Bass, Drums) virtuos einzusetzen und sie für seine musikalischen Ideen brauchbar zu machen. Damit gelingt es ihm manchmal kleine musikalische Kabinettsstückchen zu erzeugen. Da seien, z. B.,  die Sax-Soli aus „Der Tote bin ich“ (mit Gespür und feinen Nuancen von Bruno Spoerri versehen) genannt, die harmonisch durchsichtige Klangmontage und ein sich bis in die schroffen Dissonanzen steigerndes Pop-Thema aus „Flächenbrand“, das, meditativ-minimalistische, Trio für drei Keyboards und die orientalische Sphäre aus „Messer im Kopf“.

Dass Schmidt in seinen darauf folgenden Filmmusiken solches Raffinement nicht mehr an den Tag legte, lag hörbar daran, dass er zu sehr mit seinem Klangkörper experimentierte. Oder dass er sich auch (wie in „Flight To Berlin“) einfach lustlos an das harmonische Grundgerüst hielt. Um Schmidts musikalischen Intellekt allerdings nicht aus den Augen zu verlieren, muss man zwangsläufig auf andere Veröffentlichungen ausweichen. „Toy Planet“ (1981 in der Schweiz produziert) scheint dazu ideal. Sie enthält alle guten Eigenschaften des Musikers Schmidt, die man bei ihm zeitweise in der Filmmusik vermissen musste.

Thomas Karban

André Previn

Andre Previn, dirigiert Filmmusik
Andre Previn, ein gefeierter Dirigent

André George Previn (geboren am 6. April 1929 als Andreas Ludwig Priwin in Berlin, gestorben am 28. Februar 2019 in New York) war ein deutsch-amerikanischer Pianist, Komponist und Dirigent.

Heute wissen nur noch wenige Musikliebhaber dass der seinerzeit weltweit anerkannte und gefeierte Pianist und Dirigent seine Sturm- und Drangjahre in Hollywood, als Vertrags-Komponist/Dirigent bei MGM verbrachte und auch nach seiner Trennung von diesem Studio noch bis 1966 als Filmkomponist tätig war.

Previn war wohl der jüngste Filmkomponist, den Hollywood hervorgebracht hat: Bereits mit 15 Jahren wurde er als Arrangeur in John Greens Musikstab bei MGM verpflichtet und war schon als 18-Jähriger imstande, mit seiner ersten Filmmusik die Mutter-Schnulze „The Sun Comes Up“ einzukleiden. In den folgenden sechs Jahren arbeitete er ständig in diesem Medium und vertonte u. a. die Adaption von Kiplings „Kim“, wo er ganz bewusst nur im Main- und End-Title großes Sinfonieorchester auffuhr und den Rest des Films mit indischer Folklore versah.

Sein erster wirklich großer Score war die bis in die schärfste Dissonanz hineingesteigerte Musik zu „Bad Day At Black Rock“ („Stadt in Angst“), 1954. Previns Beitrag zu diesem inzwischen klassisch gewordenen Thriller um gesellschaftliche Vorurteile und die daraus resultierende Eskalation von Gewalt war ein notwendig aggressiver Rahmen.

Es dürfte auch eine der ersten (wenn nicht die erste) Hollywood-Musiken gewesen sein, die sich an Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts anlehnte (Leonard Rosenman, der 1956 für MGM und den Film „The Cobweb“ 12-Ton-Musik komponierte, kam erst ein Jahr später). Durch die vornehmlich dirigistische Mitarbeit an Musicals wie „Kismet“, „Kiss Me Kate“, „It’s Always A Fair Weather“ etablierte sich Previn auch als musikalischer Leiter. In dieser Funktion betreute er übrigens auch die Oscar-Erfolge  „Porgy And Bess“, „My Fair Lady“, „Gigi“ und „Irma La Douce“.

Nach der Trennung von MGM wählte er seine Stoffe frei aus und vertonte eine Reihe anspruchsvoller Sujets wie „Elmar Gantry“ (eine gelungene Verschmelzung von Americana, Gospelgesängen und sinfonischer Dramatik), den Cool-Jazz orientierten „The Subterraneans“ und natürlich „The Four Horseman Of Apocalypse“, sein wohl bekanntester aber nicht bester Score.

Zum Film kehrte Previn nach seinem Abschied (mit Billy Wilders „Fortune Cookie“) nur noch gelegentlich als Dirigent zurück (z. B. „Rollerball“ [plus zwei dekadenter Partymusiken], „Way West“, „Music Lovers“).

Seine Tätigkeit als Komponist für dieses Medium war nicht von wesentlicher Bedeutung, doch hatte Hollywood mit Previn sicher einen sehr nuancierten und versierten Musiker hervorgebracht.

Thomas Karban

Andre Previn – 6. April 1929 – 28. Februar 2019