Filmbetrachtung – Der letzte Tango in Paris

„Der Letzte Tango in Paris“

(Ultimo Tango a Parigi/Le dernier tango á Paris)

Italien/Frankreich 1972

Regie: Bernardo Bertolucci

Musik: Gato Barbieri

Darsteller: Marlon Brando, Maria Schneider

Es gibt Filme, die mit großem Werbeaufwand zum Skandal stilisiert werden und solche, die den Skandal schon in sich tragen und todsicher in das Kreuzfeuer der Meinungen geraten. Für den „Letzten Tango“ galt beides. Einerseits der Öffentlichkeit mit allerlei Geheimnistuerei präsentiert, traf er andererseits inhaltlich den Nerv einer Epoche, die durch Unsicherheit und Unzufriedenheit im zwischenmenschlichen Bereich nachhaltig geprägt war.

Die Geschichte von Paul und Jeanne, die sich an einem Wintertag in Paris begegnen und eine zwanghafte sexuelle Beziehung aufnehmen, in der sich ihre Kommunikation erschöpft und die nur durch Gewalt beendet werden kann, hat Regisseur Bertolucci – entgegen landläufiger Meinung – mit viel Gespür für Zwischentöne und psychologischer Nuancen inszeniert, weit ab von aller Pornographie, die dem Film vorschnell unterstellt wurde.

Der „Letzte Tango“ ist ein zutiefst pessimistischer Blick auf die Unfähigkeit des modernen Menschen, im anderen mehr zu sehen, als ein Objekt, über das sich beliebig verfügen lässt: eine Thematik, die sich bei den ebenfalls heftig umstrittenen Streifen „Der Nachtportier“ von Cavani oder „Im Reich der Sinne“ von Oshima findet.  Die gefühllose mechanisierte Sexualität findet bei Bertolucci ihre Entsprechung in der Darstellung des öden Tanzwettbewerbs (hierauf bezieht sich der Filmtitel), dessen Teilnehmer die Sinnlichkeit des Tangos zugunsten von standardisierten Bewegungen völlig negieren.

Während die Bilder des Films Kälte, Einsamkeit, Verzweiflung, Leere, Aggression und Ekel beschreiben, bewegt sich die Musik Gato Barbieris auf einer zwar adäquaten, aber doch eher melancholischen Ebene. Sein Titeltango, in dem – ungewöhnlich für diesen Tanz – ein Saxophon dominiert, fängt die spröde Winterstimmung der Pariser Straßen ebenso ein wie die depressive Verfassung der beiden Protagonisten. Es gibt zahlreiche Arrangements dieser Melodie, die auf eine „Erotisierung“ abzielen und dabei unberücksichtigt lassen, dass der Film einen ganz anderen Akzent setzt: menschliche Tragik.

André Siepmann

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